(Aus: „Deutsche Wortarbeit„)
Möchtest du ein A kaufen?
Nein, wer A kauft, muss auch B kaufen und vielleicht war A schon Ramsch. Ich brauche schon ein ganzes Alphabett, in dem ich wachen kann und an deinem Brustkorb mein absolutes Gehör weiterhin darin schule, die Zwischentöne deiner Herzschläge zu einer Sündfonie zusammenzusetzen.
Was ist das Leben? Was ist Literatur?
Denk nach, nach dir wird es keiner mehr so denken. Such einen sinnvollen Satz, aber ist nicht der Sinn voll mit gedankenlosen Sätzen, also Gedanken, los! Los! Da steppt die Decke! Das versteht die Kuh im Muh und die grast auf einer schönen Augen-Weide
Bin ich gegen Kultur? Nein, ich bin Gegenkultur! Ich bin übrigens auch gegen ständliche Mal
erei und gegen Wind. Ich bin nämlich nicht der Heiße-Luft-Ballon, ich bin der, der unwettert und im Rau reift, ich hebe lieber meinen Wortschatz aus dem Silbensee und mit dem Geschmeide schmücke ich meine Sätze, so dass an ihrem Ende keine Punkte, sondern Dukaten leuchten.
Ich will meine Neurosen gießen, damit ihre Stilblüten sich dem Augenlicht öffnen. Ich will die Unsicherheit absichern. Ich bin ein Bumerang, den das Publikum zum Wolkenkratzen in den Himmel wirft und der einen Augenblick zögert, bis er zurückkehrt, weil er den Ernst des Schwebens so genießt.
Was ist das Leben? Einfach nur Geld verdienen und dann auswandern? In die Schweiz? Nach Barland? Oder ins Parlierment? Schau sie dir doch an, die Herren und Damen, alle auf Phrasenjagd, alle gekleidet in ihrer traditionellen Niedertracht, ich hingegen kleide mich schlicht – in Worte.
Die einen sind im Dunkeln, die anderen sind im Licht und die im Dunkeln munkeln, die sieht man wieder nicht.
Aber ich bin immer noch ein wendiges Übel und Mundwerk hat ja goldenen Boden. Und ich habe ein paar kräftige Rosskuren vor die Retourkutsche gespannt. Das hat ja scheugeklappt. Euer Pferd ist bereit. Ich bin der Bereiter. Ihr seid gescheit und ich bin gescheitert. Ihr sagt nur „Yo“, und ich rufe: „Joker!“ Ihr seid das Volk und ich bin der Volker, na gut, das nicht! Aber ihr seid der Euro, ich bin Europäer!
Missversteht mich bitte recht: Was ist das Leben? Und wann hat es dich überholt? Bist du einfach beim Rennen stehengeblieben? Dann denk los, wer rastet, der kostet. Denk nach und bleib nicht in deinen Schranken, denn die größten Vordenker hatten nur Hintergedanken. Wirf einen Blick nach vorn im Zorn und pfeife auf dem letzten Noch, Schreiben ist der Fleiß der Freiheit und es ist nicht leicht, deshalb lässt du es leicht bleiben. Die anderen wie aus dem Ei gepellt und du siehst aus wie die Schale, aber wer ein A kaufen will, muss auch das Zechen-Z zahlen als Einsatz in der Wortspielbank.
Also: Nichts geht mehr! Und wenn wir schon A sagen, dann werfen wir doch gleich unsere Manuskripte von uns und vereinigen uns, indem wir uns alle umarmen und gemeinsam das Waldorf-B sprechen! „Ich schaue in die Welt“ steht auf dem T-Shirt dieses Mannes, seine Freundin heißt Ina und er heißt Johannes. Und jetzt machen wir uns frei von den Gedanken und tanzen los: Ajaja Koko Jambo Ajajajey. Steigen Sie ein, meine Damen und Herren, die nächste Fahrt beginnt. Jedes Hoffnungslos gewinnt! Und für die ganz Kleinen haben wir das Garaus-sell! Mein Kopf ist ein Rummelplatz. Ich verkaufe euch Druckerwatte und Kopflose! Tanzt! Denkt nicht an morgen, sagt die Eintagsfliege. So dumm kommen wir nicht mehr zusammen. Orgasm on the Dancefloor! Und ein Donkosakenchor brüllt mir ins Mittelohr: „Euphooriaaa!“
Aber das Leben ist nicht nur Euphorie! Euphonie! Keine Party! Wir spielen auf Erden nur einen Part! Iih! Sprich bloß nicht vom Tod, und wie die Zeit verrinnt, da kriegt sogar die Uhr Angst! Nimm lieber wieder dein Manuskript zur Hand und frage dich angesichts der Zeilen, wie macht dich die Sprach´ mächtig und wie verdiene ich mit Versen Geld?
Und dann treffen sie mich wieder. Die Worte, wie ein Faustschlag, wie ein Torpedo oder wie ein Kuss. Wohl dem, der sich noch von ein paar Sätzen treffen lässt! Und ich und all die klugen Sprengköpfe werden niedergestreckt von Schwerpunkten, Standpunkten, Brennpunkten, auch Tiefpunkten und doch bringt jeder Punkt Vorteil und ich schleppe mich in einen ABC-Schützen-Graben und schieße mit Tintenpatronen auf die Zielschreibe, bis über dem Bullseye statt TILT der Satz erscheint: Was ist das Leben?
Ich möchte euch so viel sagen, vor allem Metaphern, und was ich sagen muss, daran kann ich nur scheitern, aber scheitern und gescheit haben denselben Wortstamm und gehören zusammen wie Ebbe und Mut. Ach, die gescheiten Gezeiten!
Also Gedanken, los! Sprach los! Leb los! Schreib einen Haupt-Satz, Grund-Satz, einen Zins-Satz, der den Leuten einen Mehrwert bringt. Mein Schreibtisch ist immer noch ein Kopfkino und die DINA4-weiße Reinwand wird zur Reimwand und kriegt einen Weinrand, weil ich immer noch verzweifelt versuche, den Leuten klarzumachen, dass Literatur nicht dort ist, wo am lautesten gelacht, sondern wo am lautesten gedacht wird. Also: Erschaffe einen Satz, der das ganze Leben auf den Scheitelpunkt bringt, der dem Prüf standhält, aber du, den Duden habe ich von vorne bis hinten gelesen, da ist keine versteckte Geheimbotschaft, die Worte erzählen einem nichts. Sätze muss man erschaffen und das muss man erst mal schaffen. Du musst einen Satz erschaffen, bevor er dich schafft, einen kühnen Satz, der den Menschen Hoffnung gibt, der sie ausharren lässt, was zählt, ist das lyrische Du. Nimm mich bei der Hand und beim Wort. Und wenn wir dann so stehen, du und ich in feinem Hirn, dann fällt dir auf und später auch ein und es fällt dir wie Stern-Schnuppen von den Augen, dass von allen sagbaren Sätzen der kühnste immer noch das Schweigen ist.
René Sydow
(Aus: „Deutsche Wortarbeit„)