(Aus “FÜR DIE LIEBE, FÜR DIE KUNST“)
Sie hatte nur einen Slip an und dieses weiße Unterhemd und zitterte ganz erbärmlich, während sie einen Schuhkarton in kleine Stücke riss und in den Ofen steckte. Ich sah ihr vom Bett aus zu, schaute auf diesen Arsch und die Beine. Sie rupfte fluchend an dem Ding rum und legte es dann beiseite, um sich erstmal die Haare zusammenzubinden. Dabei bemerkte sie, dass ich ihr zusah. Sie lächelte und auf ihrem Nacken war dieser Flaum von winzigen, weißen Härchen. Ja, sah so aus, als wär ich verliebt.
„Hör mal“, sagte ich. „Ich halt’s echt nicht mehr aus. Muss das jetzt sein, dass du hier morgens sogar den Ofen anmachst?“
„Was ist los?“, fragte sie und lachte ein bisschen, aber in ihren Augen flackerte es.
„Ich komm mir vor, als wär’ ich verheiratet.“
Sie widmete sich wieder dem Ofen. „Du hast doch gesagt, es ist okay, wenn ich über Nacht bleibe.“
„Ja. Aber nicht, dass du dann hier noch ewig rumhängst. Und einheizt.“
„Aber es ist doch so kalt und du hast noch geschlafen.“
„Lässt du jetzt mal den Scheiß-Ofen in Ruhe, ja?“
„Ja, ist ja gut. Krieg dich wieder ein, okay?“ Sie ging ins Bad und machte da rum. Ich stand auf und suchte mir ein paar Klamotten zusammen und goss zwei Gläser mit Wein voll und trank sie beide runter und schmiss eins in den Flur raus, aber mit Pfeffer dahinter.
„Haust du jetzt endlich ab?“
Sie kam aus dem Bad und war schon angezogen und ging mit beherrschtem Gesicht an mir vorbei und holte ihre Stiefel. „Fick dich, du blöder Arsch.“ Und weg war sie.
Ich kehrte die Scherben zusammen und wollte ihr dann hinterher, aber was gab es da schon zu tun. Blöde Kuh.
Ich machte den Wein leer und setzte mich ans Klavier und spielte die ersten Takte der Waldstein-Sonate und merkte schon, dass es nichts werden würde. Also stand ich wieder auf und setzte mich dann an den Hewlett-Packard, und schreiben wollte ich aber auch nicht. Ein Scheißspiel war das. Ich machte die Schublade auf und warf ein paar Pillen zum Aufmöbeln ein. Dann legte ich auch noch das Speed auf und machte es weg. Sollten sie doch kommen, alle, die Schweine, die mich fertig machen wollten, die verschissenen Bluthunde, ja kommt doch, kommt doch, hier bin ich, ihr Fotzen.
Ich ging nach draußen und hierhin und dorthin und es schneite und machte es auch nicht besser. Das Speed war das Problem, es machte mich zickig, also rannte ich im Mauerpark ein paarmal den Berg hoch und runter, bis ich wieder klar im Kopf war. Und dann wirkten auch die Pillen endlich und ich war wieder eine coole Sau. Ich lief zurück nach Hause und nahm einen Eimer Kohlen mit nach oben. Aber da war es inzwischen schon warm und die Frau saß vorm Rechner.
„Wie bist’n du hier rein gekommen?“, fragte ich.
„Mit dem Schlüssel, den du mir gegeben hast.“
„Ach so.“
„Keine Panik, ich bin gleich wieder weg.“
„Ach, bleib ruhig.“
„Wie bitte?“
„Hast du was an den Ohren? Ich hab gesagt, du kannst da bleiben.“
„Soso“, sagte sie und tippte derweil ein E-Mail, mit allen zehn Fingern. „Bist du jetzt wieder sentimental, oder was?“ Sie schaute mich an und gab dann einen Lacher von sich. „Oh Mann, du bist ja schon wieder drauf.“
„Was bin ich?“
„Guck doch mal in’n Spiegel, was du für Pupillen hast.“
„Ja und?“
„Du und deine Medikamente, echt. Ist doch voll erbärmlich.“
„Oh,Tschuldigung, Missy, dass ich so erbärmlich bin. An wie vielen Tagen pro Woche trinken Sie Alkohol? Trinken Sie a) 1-2 Getränke pro Abend, b) 3-4 Getränke oder c) 5 und mehr Getränke? Sie sollten über eine Therapie nachdenken.“
„Ich red’ nicht vom Saufen, sondern von deinen Pillen.“
„Jaja. Was machst’n da eigentlich?“
„Ich schreib dem Justin.“
„Wer is’n Justin?“
„Mein anderer Lover.“
„So? Ich glaub, ich muss dich mal wieder vermöbeln.“
„Lass mich noch zu Ende schreiben.“
„Flittchen.“
„Kommst du eigentlich mit in die Oper heute Abend?“
„Bin ich bescheuert, oder was?“
Sie schrieb weiter dem Justin.
„Was läuft’n?“, fragte ich.
„Don Giovanni.“
„Meinetwegen. Aber da siehst du, was du aus mir gemacht hast.“
„Was denn?“
„Einen Typen, der in die Oper geht.“
„Du schläfst doch sowieso immer ein.“
„Ja und, du sagst doch immer, dass ich mehr schlafen soll.“
Sie schickte ihre Nachricht ab und drehte sich dann zu mir um.
„Aber sag doch mal ernsthaft, warum bist’n schon wieder so zugedröhnt?“
„Was’n das für ’ne blöde Frage?“
„Weißt du eigentlich noch, wann du das letzte Mal nüchtern warst“?
„Ja und, weißt du eigentlich noch, wann du das letzte Mal bei Kaiser’s warst?“
„Ja, am Mittwoch.“
„Zicke.“
„Du weißt doch, dass ich’s schlimm finde, wenn du dich so kaputt machst.“
„Seh ich vielleicht so aus, als würd’ mich interessieren, ob’s dir gut geht oder schlecht?“
Sie kam rüber und setzte sich neben mich aufs Bett und streichelte meinen Hals am Haaransatz und ich drehte den Kopf so, dass sie besser dran kam. „Warum versuchst du eigentlich immer, so’ n Arsch zu sein?“
„Keine Ahnung. Sag du’s mir. Ihr Weiber wisst doch sowieso immer auf alles ’ne Antwort.“
„Du bist so kindisch.“
„Ja, genau. Oder wie wär’s damit: Ich liebe das Leiden viel zu sehr.“
„Tust du ja auch.“
„Dann such dir doch ’nen Mann, der das Leben bejaht und nicht kindisch ist und geh mir nicht auf’n Keks.“
„Ich mag dich aber.“
„Tja, da bist du wohl angeschissen.“
„Warum bist du denn immer so negativ?“
„Bin ich doch gar nicht.“
„Aber du fliehst vor der Realität!“
„Mann, jetzt kau mir doch mal kein Ohr ab. Natürlich flieh’ ich vor der Realität, du vielleicht nicht? Mit deinen komischen Hippie-Ansichten, von wegen die Welt ist schön, dann flieg doch in’n Kongo, wenn du so scharf bist auf die Realität. Und sitz nicht hier in deinem behüteten Berlin rum und quatsch mich voll.“
Sie lachte und ging ins Bad und kam dann wieder, mit meiner Zahnbürste im Mund.
„Hscht du eigntlch noch wlche vondn Pilln da?“
„Was ist los?“
„Ob du nchn paar vondn-…“
„Mann, kannst du vielleicht mal ordentlich reden?“
Sie schluckte den Schmodder runter und verzog das Gesicht.
„Ob du noch welche hast von den Pillen?“
„Ja, klar.“
„Dann gib her, ich will mal probieren.“
„Meinst du wirklich?“
„Ja, warum nicht?“
„Keine Ahnung.“
„Machst du dir vielleicht Sorgen um meine Gesundheit?“
„Pah, leck mich doch“, meinte ich und warf ihr die Schachtel hin.
„Und wie viel soll ich nehmen?“
„Eine wird wohl reichen.“
„Wieviel nimmst du denn immer?“
„Fünf oder sechs, aber ich mach das ja auch schon ’ne Weile.“
„Ich will soviel nehmen wie du.“ Und damit haute sie sich das Zeug in den Kopf. Wir tranken zwei Flaschen Tempranillo und hörten Amy Winehouse und warteten darauf, dass es dunkel wurde.
„Mann, mir ist vielleicht schlecht“, sagte sie, als wir taumelig im Foyer der Komischen Oper standen. Ich ging mit ihr auf die Toilette und half ihr beim Kotzen. Dann stellten wir uns an die Bar und teilten uns ein Bier und hörten dem Vortrag einer Studentenschnalle zu, die da zittrig am Mikro klebte mit ihren Moderationskärtchen in der Hand.
„Man sagte Don Giovanni nach, dass er allein in Spanien über 1.000 Frauen gehabt haben soll, also gut und gerne soviel wie der durchschnittliche deutsche LaPalma-Tourist, obwohl man dann dabei wohl kaum noch von Erholungsurlaub sprechen kann.“ Und die Bildungsbürger, die in kleinen Gruppen beisammen standen, ließen ein dezentes Lachen vernehmen. Hö hö hö…
„Die sind doch alle bescheuert“, lallte die Frau. „Und nur wegen dir hab ich jetzt so’ne blöden Pillen genommen.“
„Tut mir leid, Puppe.“
Ich hatte es wohl auch übertrieben, weil ich schon längst wieder violette Spinnweben in der Luft tanzen sah. Trotzdem schafften wir es auf unsere Plätze und knutschten, bis die Ouvertüre anfing. Dann war meine Puppe eingeschlafen. Ich saß da und langweilte mich jetzt ein bisschen und musste auch pissen und fand, dass ich in Zukunft besser auf sie aufpassen sollte. Nur ändern wollte ich mich nicht.
Ich streichelte ihr Haar und wollte gern etwas Nettes sagen, aber sie pennte und fing auch gerade an zu schnarchen. Dann machte ich es mir selbst bequem in dem Polsterstuhl und lauschte ein bisschen und grübelte und schlief dann selbst ein und träumte eine Menge dummes Zeug, von dem ich später nur noch wusste, dass es irgendwas mit Mozart zu tun hatte.
Clint Lukas
(Aus “FÜR DIE LIEBE, FÜR DIE KUNST“)